80 sind die neuen 100

Du hast Versatz an Passe und am Kragen!
Stand da neulich unter einem meiner Profilbilder bei Facebook.
Darauf trage ich eine selbst genähte Jacke. Mit Passe und Kragen.
Und es stimmt. Ich hab‘ Versatz. Nicht nur ein bisschen. Sondern ein bisschen viel.
Ein halber Zentimeter am Kragen, die Hälfte davon dann auch noch an der Passe.
Aber ich hab’s nicht mehr aufgetrennt. Und kann trotzdem ruhig schlafen.
Warum? Weil es nicht besser geworden wäre durchs Auftrennen.
Darum! Und: ISMIREGALICHLASSDASJETZTSO!

Ich kämpfe gegen den Perfektionismus, das muss ich zugeben!
Ich mag es, wenn Naht auf Naht sitzt. Ich nirgends mogeln oder begradigen muss.
Aber manchmal verrennt man sich auch. Und macht ein Teil nicht unbedingt besser,
nur weil man noch mal zwei Stunden dran rum fummelt!
Das musste ich auch bei einem Projekt einsehen,
das mir besonders am Herzen lag – meinem Muttertagsgeschenk:

Eine „Frau Charly“ sollte es werden. Quasi ein Hoodie ohne Pullover unten dran.
Perfekt für meine Mutti, die bei Wind und Wetter ihre Runde mit dem alten Hundeherrn dreht.
Denn sie wohnt dort, wo „ein Dreivierteljahr Winter und ein Vierteljahr kalt“ ist.
So definierte zumindest mein Opa, der aus dem sonnenverwöhnten Baden stammte,
immer den Wohnort meiner Eltern im höher gelegenen Schwarzwald.
Den gut gehüteten „on a tuesday“-Stoff angeschnitten. Ösen reingeklopft.
Argh! Erster Fehler! Falsch herum! Die Rillen müssen eigentlich innen liegen!
Aber nur wegen der Ösen noch mal zuschneiden? Ach nööö….

Dann dachte ich, ich bin besonders schlau – und setz die Ösen einfach tiefer.
Warum sollten die auch laut eBook so nah an den Rand der Mütze?
Geht doch so viel besser zum Nähen, kein Gepfriemel mit der Overlock,
sondern rasantes Passieren der Engstelle zwischen Öse und Stoffrand.
Dann, beim Nähen des Schlauches für die Kordel fällt der Groschen:
Meine Ösen sitzen definitiv zu tief für den Kordel-Tunnelzug. OMG!
Aber was soll’s? Näh ich halt noch einen Tunnelzug – allerdings in neutraler Farbe.

Wie wenn Ösen-Fauxpas und Tunnel-Misere nicht gereicht hätten,
gesellte sich gleich noch ein Problem dazu: ein Knoten im Kopf.
Und zwar einer von kapitaler Größe. Wie bitte näht man das Teil so zusammen,
dass aus zwei Mützen eine wird – und man trotzdem noch zum einen Loch rausschauen,
und zum anderen Loch reinschlüpfen kann? Ich verstand einfach nicht, was Nina beschrieben hatte.

Ich nähte es so zusammen, wie ich dachte, es sei richtig. War es aber nicht.
Also trennte ich noch mal auf.  Ähmm, nein. Ehrlich? Okay Ich hab die Naht einfach abgesäbelt.
Dann steckte ich es mit Heftnadeln zusammen. Wendete es auf die falsche Seite.
Aber das Licht wollte mir immer noch nicht aufgehen.
Kurzum: Ich bin mit halbfertiger Mütze dagestanden – am Muttertag, vor Mutti.
Und mit riesengroßen Fragezeichen in den Augen. Wie zum Teufel?!?!?

Die Lösung ist so simpel – und doch sehr schwer zu beschreiben,
daher hab‘ ich einfach mal mitfotografiert für Euch:

Ich hab‘ Innen-Mütze (links) und Außenmütze auseinander gezogen (das Guckloch ist da, wo sie aneinander genäht sind). Dann hab ich mir die Außenseiten nach oben gelegt – mit der schönen (rechten) Seite nach oben. Die beiden Nahtkanten hab ich dann sowohl von Innen-Mütze als auch Außen-Mütze aufeinander gelegt – und zwar so, dass die schönen Seiten der Stoffe zueinander zeigen (also rechts auf rechts). Und schon konnte es mit der Näherei losgehen! Mit Stecknadeln geheftet habe ich gar nichts – sondern immer nur den Stoff nachgezogen, und so nach und nach unten die Schlupfwendung verschlossen! Aber ACHTUNG: Die Wendeöffnung nicht vergessen! Ist mir zum Glück nur fast passiert. Das wäre ja noch die Krönung gewesen! Vor lauter Euphorie durchgerattert!

Mütze gewendet, gebügelt – und glücklich gewesen!
Manchmal tun’s eben auch die 80 Prozent!
Weil man selbst der einzige ist, der die fehlenden 20 Prozent bemerkt!
Wer nicht weiß, dass eine Öse auf der schönen Seite keine Rille hat,
wird nicht merken, dass diese hier falsch drin sitzen!
Wer nicht weiß, dass die Kordel gleich vorne am Gesichtsausschnitt laufen sollte,
wird denken, dass die süße Kräuselnaht absolut gewollt ist!
Wer nicht weiß, dass die Mütze noch zwei Zentimeter länger sein soll,
wird nicht merken, dass ich an der Schlupföffnung eine falsche Overlocknaht
einfach abgeschnitten habe, anstatt sie mühsam aufzutrennen.

Meine Mutti hat jetzt nicht irgendeine Kapuze. Sondern eine Kapuze mit Geschichte.
Und das wiederum macht sie dann trotz aller Hürden zum perfekten Muttertagsgeschenk.

Schick, so eine gerillte Öse, nicht?
Je öfters ich das sehe, umso mehr kann ich mich daran gewöhnen!

Kreativ war diese Tüftelei auf jeden Fall – finde ich!
Und deswegen reihe ich mich ein in die lange Schlange beim Creadienstag!
Ich bin ja schon gespannt, ob wir heut die 400-Creadienstag-Blogger-Marke knacken!

Eine herrlich unperfekte Woche wünsch ich Euch!
Lasst einfach fünf mal gerade sein!

Eure
katja

PS: Die Jacke – samt Versatz – zeige ich Euch natürlich auch noch hier im Blog!
Nicht nur ihr müsst da geduldig sein. Ich auch. Sie ist nämlich ein absolutes Lieblingsteil.
Aber noch ein klitzekleines bisschen geheim – so wie das halt nun mal mit Probenähprojekten ist.
Doch wer mir auf facebook folgt, der weiß, an was ich seit Ende April nebenher arbeite…

Stoffe:
„on a tuesday“ von lillestoff / design: pamela hiltl 
Schnitt

„Frau charly“ von „hedi näht“ / nina verhoeven

9 Kommentare

  1. Die gefällt mir sehr gut, deine Frau Charly. Ich hab letzte Woche auch eine für mich genäht und hatte beim Zusammennähen unten auch den gleichen Knoten im Hirn ;-). Ein wenig fummelig, aber es ging dann doch.
    Liebe Grüße von Sabine

    • Katja von ♥ schoenstebastelzeit 

      Liebe Sabine,

      vielen Dank! Hab' grad auch nach Deiner Frau Charly gespickt – der Chevron-Stoff ist super!
      Heut ist wieder Kapuzenwetter bei uns – somit: Hoch die Mütze! 😉

      Liebe Grüße,
      Katja

  2. Liebe Katja,

    ich musste beim Lesen wirklich schmunzeln. Deine Mom hat definitiv jetzt eine Kapuze mit Geschichte. Und irgendwie beruhigt es mich, dass es nicht nur mir so geht beim Nähen. Manchmal läuft alles gut und manchmal scheint alles schief zu gehen. Du hast das Beste daraus gemacht und ich gebe dir völlig recht – es müssen nicht immer 100% sein.
    Bestimmt hat sich deine Mom trotzdem gefreut, oder?!

    Liebe Grüße,
    Kerstin

    • Katja von ♥ schoenstebastelzeit 

      Liebe Kerstin,

      meine Mom hat sich riesig gefreut – mehr, als wenn ich drei neue Frau Charlys zugeschnitten hätte, um eine perfekte zu bekommen! Nach dem kurzen Sommerintermezzo ist ja heut auch wieder Frau-Charly-Wetter, so denke ich, dass sie die Blümchen heut schon ausgeführt hat!

      Dir ein schönes Wochenende,
      liebe Grüße,
      Katja

  3. Unknown

    Schön geworden, ich hätte mich darüber gefreut, vor allem nach dem steinigen Weg…
    Gruß Charlie

  4. Katja von ♥ schoenstebastelzeit 

    Hallo liebe Charlie..

    ..na, das wär doch auch mal was: Eine Frau Charly für Charlie! 😉

    Ich danke für den lieben Gruß hier und schick Grüße auf den Häkelstern,
    Katja

  5. Unknown

    Herrlich!!!♥Du hast mir den Abend versüßt ich find sie zauberhaft.

    Liebste Grüße
    sandra

    • Katja von ♥ schoenstebastelzeit 

      Hallo,

      ich kann Dir leider nur auf diesem Weg antworten:
      Der Schnitt ist am Ende genannt: Es ist eine "Frau Charly" von Hedinäht.

      Viel Spaß beim Nähen,
      Katja

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